Haushaltsrede Stadtratsfraktion SPD/ÖDP 2023

Stadtratsfraktion SPD / ÖDP

Der Weltraum – unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2022. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffes Cham, das mit seiner 400 m/w/d starken Besetzung unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen. Das Raumschiff unter der Leitung von Captain McMarty steuert durch die Galaxien, scheinbar unbehelligt von allen Angriffen der Klingonen, auch Krisen genannt.
Okay, heute sitzen wir nicht beim Wittmann im Kino und schauen uns einen Star Trek Film an, sondern dürfen über einen erneut erfreulichen Haushalt beraten, um den uns manch andere Kommune beneiden dürfte. Chief Treasurer C.P., Mitglied der Kommandobrücke, hat ihn mit seinem Team in gewohnt souveräner Manier aufbereitet.

Rekordhaushaltsvolumen, ermöglicht von Rekord Gewerbesteuereinnahmen und weiter ansteigender Einkommenssteuereinnahmen. Da lässt es sich auch verschmerzen, dass die Kreisumlage an das Mutterschiff bei gleicher Umlage auf fast 13 Millionen Euro steigt.

Doch Mr. L. hebt skeptisch seine buschigen Augenbrauen. Verliert der Captain den Überblick über seine Vorhaben, schätzt er die Unwägbarkeiten falsch ein und gefährdet somit die Zukunft der Besatzung? Flutbrücke, Hochwasserfreilegung, Begegnungszentrum, ganze Straßenzüge, Kindertagesstätten, städtische Wohnungen und ein Stadion, die Maßnahmen im weitläufigen Raumschiff stauen sich und bringen die Besatzung bei der Abwicklung ins Ächzen. Pille Dr. V. und sein Assistenzarzt A. mahnen zur Haushaltsdisziplin und stellen unangenehme Fragen. Obendrein darf die Sanierung der Grundschule nicht hintenanstehen. Aus dem Maschinenraum meldet sich die Stimme von Chefingenieur JR. Ausbau Scheuerer-Kreuzung, Brücke über die B 85, Eichenstraße, Kanal Schulstraße und Klosterstraße, Sanierung Biertorbrücke, energetische Sanierung Freizeitbad müssen bewältigt werden. Deputy Commander W.D. weist energisch darauf hin, dass die Investitionen im westlichen Teil des Raumschiffes weiter gehen müssen. Ein Aufschrei der Entrüstung fegt durch die Kommandobrücke, als Captain McMarty jedem Befehlshaber eines Trabanten die Sanierung einer Landebahn streicht, im östlichen Teil des Raumschiffes kommt es zu ersten Unruhen zwischen den fünf Ortsoffizieren wegen der Nichtberücksichtigung einer maroden Zustellungsstraße. Die Androhung eines gemeinsamen interstellaren Bootcamps bringt die Offiziere erst mal zum Schweigen.

Lt. Stebe, einzige Frau auf der Brücke, sorgt erst mal für Ordnung und stellt eine Rednerliste auf.

Erlauben Sie mir als letzte dieser Rednerliste, quasi als Mr. Sulu und Mr. Chekov, unseren Haushalt 2023 schlaglichtartig zu kommentieren. Denn fast alles ist ja schon vom Captain und den Chairmen geschrieben und gesagt worden.

Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass unser Bürgermeister viele Themen unter Einbeziehung aller Fraktionen und Fachleute in zahlreichen Arbeitskreisen, die entsprechend häufig tagen, vorbereitet. Das hat Vor- und Nachteile. So ist die direkte Mitsprachemöglichkeit bei der Bearbeitung von Themen wie Marketing, Citymanagement, GSEK, Sanierung städtischer Wohnungen, Begegnungszentrum St. Michael, Mobilität, Hochwasser, städtisches Stadion, Energienutzungsplan, u.v.m. enorm. Dieses Vorgehen räumt natürlich schon im Vorfeld kontroverse Diskussionen ab.

Work in progress ist also top. Das geht dann soweit, dass mangels kritischer Themen leidenschaftlich über die Zeitspanne des kostenfreien Parkens in Cham debattiert wird. „Eure Probleme hätte ich gern“, reibt sich so manch anderes Gemeindeoberhaupt verwundert die Augen.

Rätselfrage: welcher Ausschuss hat erst ein einziges Mal seit Bestehen getagt? Richtig: der Ausschuss für Umwelt und Nachhaltigkeit. Auch wenn allen handelnden Personen eigentlich klar ist, dass in diesem Ausschuss wichtige Themen für die Lebensqualität unserer Bürgerinnen und Bürger behandelt werden sollten, kommt er nicht so wirklich in die Gänge. Unsere Fraktion fragt sich natürlich, warum das so ist. Will man hier konzertiert einen unbequemen Stadtrat ausbremsen, oder sind die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit doch nicht so prioritär wie öffentlich kommuniziert?
Die Fraktion SPD/ÖDP freut sich daher, dass mit unserem zukünftigen Fraktionsmitglied Tom Kager, Bündnis 90/Die Grünen, ein weiterer Protagonist Lust darauf hat, gerade in diesem Arbeitskreis mit zu arbeiten.

Unser Friedhof ist ein Ort, der in die Jahre gekommen ist. Die Bestattungskultur hat sich komplett verändert. Er ist aber auch ein Begegnungsort mit viel Potential. Dass unser umfassender Antrag 2021 für ein Zukunftskonzept noch immer nicht im Stadtrat behandelt wurde, ist an sich bedauerlich. Da aber sukzessive Punkte daraus genommen werden, Gelder im Haushalt eingestellt sind und zudem ein Planungsbüro beauftragt wurde, können wir derzeit nur die Verzögerung bei der Umsetzung kritisieren, die allerdings vielfältige und zum großen Teil verständliche Gründe hat.

Unser Großprojekt Begegnungszentrum St. Michael läuft gut und ist im – ambitionierten - Zeitplan.
Dickes Dankeschön an alle Mitarbeitenden für die enorme Arbeitsleistung während Corona und an die Bewohnerinnen und Bewohner und Angehörigen, dass sie nach Corona nun auch die Baustelle vor der Haustür geduldig ertragen. Geld allein macht nicht glücklich, aber es hilft enorm, z.B. wenn man das Begegnungszentrum St. Michael nicht nur zu einem Heim für Menschen mit unterschiedlichem Hilfebedarf machen will, sondern zu einer Heimat. Deshalb werden für dieses Vorhaben Spenden gesammelt, die entscheidend helfen werden, gute Ideen ohne Förderkorsett umzusetzen und Dinge für Bewohnerinnen und Bewohner anzuschaffen, die nicht von öffentlichen Zuschüssen mitfinanziert werden können.

Viel versprechend ist auch die Fachstelle für pflegende Angehörige der Malteser in Cham angelaufen, für die die Stadt einen freiwilligen jährlichen Zuschuss gibt. Seit September in Betrieb konnten schon über 80 betroffene Personen konkret informiert und beraten werden. Da Vernetzung großgeschrieben wird, ist diese Anlaufstelle eine wertvolle Ergänzung für pflegende Menschen, egal ob jung oder alt.

Das Stadtquartier rund um das Begegnungszentrum St. Michael ist in einem großen Umbruch. Nicht wenige Einfamilienhäuser sind oft nur mehr von einer Person bewohnt, stehen ganz leer, die Nahversorgung mit Dingen des täglichen Lebens gestaltet sich schwieriger. Doch die Stadt steuert dagegen. Mit der umfassenden Sanierung unserer städtischen Wohnanlage, die auch ein zukunftsgerichtetes Energiekonzept, barrierefreie Wohnungen und eine attraktive Innenhofgestaltung beinhaltet, gibt es weiterhin ein Wohnangebot für Menschen, die bei der Miete keine großen Sprünge machen können.
Mit der Verdichtung der ÖPNV-Taktung sowohl nach Katzbach, als auch in die Innenstadt, sind Einkäufe und Arztbesuche einfacher ohne Auto oder sogar mit dem Fahrrad möglich. Dieses Quartier vor den Toren der Innenstadt hat viel Charme und Wohnqualität, die es in Zukunft auch mit dem neu zu installierenden Quartiersmanagement zu erhalten gilt.

Unsere Kommune ist im Gegensatz zu den überörtlichen Radwegenetzen nicht gerade als das Fahrrad-Eldorado bekannt. Kunststück, wenn jahrzehntelang dem Auto als Fortbewegungsmittel Nr. 1 gehuldigt wird. Mit etlichen Geburtswehen wurde nun gemeinschaftlich ein Fahrradkonzept aus der Taufe gehoben, das in einer Bürgerversammlung für lang überfällig befunden wurde. Allerdings waren auch sehr viele fahrradaffine Personen anwesend. Mal sehen, wie sehr sich Autofahrende in der Praxis von Piktogrammen auf einer Straße beindrucken lassen. Unsere Fraktion ist der Auffassung, dass die Ludwigsstraße schon aufgrund der Sicherheit baldmöglich von parkendem Verkehr befreit werden muss, zumal es in akzeptabler Nähe genügend Parkfläche gäbe. Ausnahmen erkennen wir nur bei den notwendigen barrierefreien Stellplätzen und im Bereich Polizei.

Ebenso wie das Thema Fahrrad fahren gerät das Thema Barrierefreiheit mehr in das Bewusstsein der Entscheidenden. Hurra! Endlich! Nachdem auch den Fittesten unter uns aufgefallen sein dürfte, dass Bayern nicht bis 2023 barrierefrei ist, wird Barrierefreiheit bei neuen Konzepten und Planungen jetzt immerhin mitgedacht. Wer von uns hätte vor ein paar Jahren zu hoffen gewagt, dass Klimaschutz und Barrierefreiheit einander in die Karten spielen. Ich zitiere unser Stadtoberhaupt: „Wenn wir den Spitalplatz neu konzeptionieren oder den Marktplatz barrierefrei machen, dann werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um verdichtete Flächen aufzubrechen, Grüninseln zu schaffen und Stauraumkanäle zu bauen.“
Gerne fügen wir noch hinzu: Alte Bäume erhalten und neue Bäume pflanzen nicht vergessen, aber das klappt ja jetzt immer besser – spätestens seit der Aktion der Wirtschaftsjunioren am Ehrenhain.

Schade nur, dass die Debatte um eine Baumschutzverordnung im Stadtrat verweigert wurde. Wäre spannend geworden, zumal die Meinungen dazu sogar fraktionsintern weit auseinander gingen.

Auch Cham hat sich endgültig auf den Weg zu mehr regionalem Klimaschutz gemacht. Mit Förderprogrammen, der Entwicklung von dezentralen Energiekonzepten, ökologischer Bauleitplanung, konsequenter Installation von PV auf Dächern und Fassaden, Stromspeichern und Freiflächen-PV kommen wir dem klimaneutralen Energieszenario 2040 näher. Egal ob hauseigener Tüftler, Agentur oder Klimaschutzmanager. Die so entwickelten Konzepte müssen ohne Verzögerung umgesetzt werden, um damit die Bevölkerung mitzuziehen. Jeder/jede kann etwas zum Klimaschutz beitragen. Im Hinblick auf unsere soziale Verantwortung setzt unsere Fraktion aber zusätzlich auf die Ausarbeitung eines Hitzeschutzplanes, nach dem Motto: den Winter für Pläne gegen die Sommerhitze nutzen. Und wann beraten wir endlich über gezielte Maßnahmen zum Artenschutz?

Während andere Städte im Landkreis über Leitfäden für die Genehmigung von PV-Freiflächenanlagen öffentlich streiten, wurde der Kriterienkatalog (Flächenkriterien, ökologische Kriterien, regionale Wertschöpfung, Bürgerbeteiligung, Einspeisemöglichkeit) bei unserer Klausurtagung nahezu geräuschlos durchgewunken. In der Praxis wird der Stadtrat im Rahmen des Bauleitverfahrens über Genehmigung oder Ablehnung entscheiden. Werden wir es dann auch schaffen, Genehmigungen nicht an den berühmten Abständen in Metern scheitern zu lassen?

Im letzten Jahr hat unsere Fraktion versprochen, das Thema Erinnerungskultur nicht aus den Augen zu lassen. Da es etwas zäh voran geht, beobachten wir aber nicht nur, sondern arbeiten mit Unterstützung unseres Stadtarchivars Timo Bullemer tatkräftig daran, Erinnerung und Geschichte in Cham sichtbarer und erlebbarer zu machen. Seien Sie gespannt, welche Vorschläge engagierte Bürgerinnen und Bürger im neuen Jahr präsentieren werden.

Apropos Geschichte: etwas versteckt im Haushalt - unter Verwaltungshaushaltsstelle 3400.6340 u.a. Konzepte für geschichtliche Orte -, aber nicht unerwähnt bleiben soll unser Antrag zur Chamer Reichsburg. Im Ortsteil Altenstadt wird dieses Bodendenkmal mittels eines dreidimensionalen Modells sichtbar und erlebbar gemacht werden.

Ach ja: im April dieses Jahres hat unsere Fraktion eine priorisierte Liste weiblicher Persönlichkeiten für mögliche Straßennamen eingereicht, damit wir im Fall der Fälle nicht wieder um einen Frauennamen verlegen sind. Wir sind gespannt, wann wir endlich in diese unerforschten Galaxien vordringen dürfen.

Auch in diesem Jahr sehen wir trotz zeitweiligem Murren auf der Kommandobrücke große inhaltliche Schnittmengen im Stadtrat. Unser Captain macht das auch mit Charme, Geschick und großem Zeiteinsatz. Gibt es Probleme in einem Raumschiffabschnitt – der Captain war meist schon vor Ort.
Angesichts der immer noch Mut machenden Haushaltskennzahlen, die uns allen eine erhebliche Gestaltungsfreiheit eröffnen, stimmt die Fraktion SPD/ÖDP dem Haushaltsentwurf 2023 zu.

2022 war unser Raumschiff dank des Warp-Antriebs oft mit Überlichtgeschwindigkeit unterwegs. Es ist zu beobachten, dass die Arbeitsaufträge des Captains überhandnehmen. Diese verteilt er bevorzugt Stunden vor Dienstantritt per Tricorder. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass der Platz auf dem Whiteboard hinter seinem Kommandosessel bald zur Neige geht. Deshalb gönnen wir allen Beteiligten, der gesamten Kommandobrücke, der Besatzung in allen Raumschiffsektoren und den Bewohnerinnen und Bewohnern unseres kleinen Kosmos von Herzen ein wenig Ruhe, mehr Frieden und viel Gesundheit im neuen Jahr.

Wir bedanken uns aufrichtig bei allen, die guten Willens sind und aktiv mitarbeiten, die Stadt Cham noch lebenswerter zu machen und wünschen allen Bürgerinnen und Bürgern – ob Alteingesessen oder neu Zugezogen - ein schönes Weihnachtsfest.

In diesem Sinne: beam me up, Scotty

Claudia Zimmermann, Fraktionssprecherin SPD/ÖDP
Cham, den 04.12.2022